28.01.2021

196ff - Dokumentation rechter Tötungen in Deutschland seit 1990

Performance: Ricardo Endt, Johannes Gabriel, Gwen Kyrg, Marco Runge, Victoria Weber
Konzeption/ Regie: Ricardo Endt, Christian Hanisch
Video-/Audio: Franz Hauptvogel


Als sich Ende 2011 der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) selbst enttarnte, ging ein Schock durch Deutschland. Wie konnte eine rechtsextreme Terrorzelle – getragen von einem Netzwerk, darunter auch V-Leute des Verfassungsschutzes – über 20 Jahre unbemerkt  morden? Wie konnte sie Sprengstoffanschläge verüben und Raubüberfälle begehen, ohne dass die Behörden die Zusammenhänge erfassten und handelten?

Im Zuge des Prozesses gegen den NSU, sowie der Ermittlungen der acht parlamentarischen Ausschüsse zu den Hintergründen, stellten sich auch die Fragen, wie „Politisch motivierte Kriminalität – Rechts“ (PMK-R), besser zu erkennen sei und welche Kriterien dafür maßgeblich sind. Auf Geheiß des Bundesinnenministeriums (BMI) überprüften das BKA und alle Landeskriminalämter über 3.300 unaufgeklärte, versuchte und vollendete Tötungsdelikte auf ein rechtsextremes Tatmotiv.

Die ZEIT und der TAGESSPIEGEL veröffentlichten Ende 2018 eine weitaus umfangreichere Liste der Opfer von PMK-R. Die Amadeu Antonio Stiftung war Teil eines unabhängigen Expertenkreises zur Aufarbeitung möglicher rechtsextremer Mordfälle in Brandenburg. Seit dem schreibt sie die Liste kontinuierlich fort. Stand August 2019 (Arbeitsbeginn am Projekt): 196 Opfer von PMK-Rechts. Im Februar 2020 zählt die Liste bereits 208 Menschen.

2009 gab die Bundesregierung 46 Todesopfer rechtsextremer Gewalt seit der Wiedervereinigung an. 2015 und zuletzt im Juni 2018 wurde diese Zahl auf 83 nach oben korrigiert. Dies ist bis heute die offizielle und amtliche Angabe in diesem Zusammenhang.

Die Installation besteht aus einem leeren, abgehangenen Raum, in dem 4 lebensgroße Puppen verteilt stehen. Das Publikum kann sich im Raum bewegen und die Puppen betrachten. Den Puppen wird mittels Projektion das Gesicht jeweils einer Performerin oder eines Performers zugewiesen. Letztere sitzen außerhalb des Raums an einem Tisch. Vor ihnen liegen die 196 Berichte und Kurzprotokolle. Sie lesen jeweils einen Teil der Berichte. Die Namen der Opfer und die Umstände der Tat werden geschildert, sachlich, deutlich und unerbittlich. Eine Zumutung, der sich auszusetzen, gerade in Anbetracht der aktuellen politischen Situation, absolut notwendig erscheint.

Die Lecture Performance dauert ungefähr zwei Stunden. Durch die installative Form des Projektes wird die schiere Anzahl der vorgetragenen teils sehr grausamen, rechtsmotivierten Morde erst in ihrem ganzen Ausmaß spürbar. Die Taten erhalten durch die Unbewegtheit der Puppen eine Dichte, die schwer erträglich ist. Die Medienberichte rechtsmotiverter Gewalttaten sind uns allen bekannt, erscheinen uns aber zwischen den anderen Nachrichten wie Randnotizen. Durch die Präsentation aller Berichte gewinnen diese “Randnotizen” eine Wucht, die nachdenklich, betroffen und wütend macht. Der leere Raum und die flüsternden Stimmen bieten aber auch Möglichkeiten der Kontemplation und Reflexion.

Foto: Sebastian Schimmel
Foto: Sebastian Schimmel

 

 

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