Performance: Ricardo Endt, Johannes Gabriel, Gwen Kyrg, Marco Runge, Victoria Weber
Konzeption/ Regie: Ricardo Endt, Christian Hanisch
Video-/Audio: Franz Hauptvogel
Als sich Ende 2011 der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) selbst
enttarnte, ging ein Schock durch Deutschland. Wie konnte eine
rechtsextreme Terrorzelle – getragen von einem Netzwerk, darunter auch
V-Leute des Verfassungsschutzes – über 20 Jahre unbemerkt morden? Wie
konnte sie Sprengstoffanschläge verüben und Raubüberfälle begehen, ohne
dass die Behörden die Zusammenhänge erfassten und handelten?
Im Zuge des Prozesses gegen den NSU, sowie der Ermittlungen der acht
parlamentarischen Ausschüsse zu den Hintergründen, stellten sich auch
die Fragen, wie „Politisch motivierte Kriminalität – Rechts“ (PMK-R),
besser zu erkennen sei und welche Kriterien dafür maßgeblich sind. Auf
Geheiß des Bundesinnenministeriums (BMI) überprüften das BKA und alle
Landeskriminalämter über 3.300 unaufgeklärte, versuchte und vollendete
Tötungsdelikte auf ein rechtsextremes Tatmotiv.
Die ZEIT und der TAGESSPIEGEL veröffentlichten Ende 2018 eine weitaus
umfangreichere Liste der Opfer von PMK-R. Die Amadeu Antonio Stiftung
war Teil eines unabhängigen Expertenkreises zur Aufarbeitung möglicher
rechtsextremer Mordfälle in Brandenburg. Seit dem schreibt sie die Liste
kontinuierlich fort. Stand August 2019 (Arbeitsbeginn am Projekt): 196
Opfer von PMK-Rechts. Im Februar 2020 zählt die Liste bereits 208
Menschen.
2009 gab die Bundesregierung 46 Todesopfer rechtsextremer Gewalt seit
der Wiedervereinigung an. 2015 und zuletzt im Juni 2018 wurde diese Zahl
auf 83 nach oben korrigiert. Dies ist bis heute die offizielle und
amtliche Angabe in diesem Zusammenhang.
Die Installation besteht aus einem
leeren, abgehangenen Raum, in dem 4 lebensgroße Puppen verteilt stehen.
Das Publikum kann sich im Raum bewegen und die Puppen betrachten. Den
Puppen wird mittels Projektion das Gesicht jeweils einer Performerin
oder eines Performers zugewiesen. Letztere sitzen außerhalb des Raums an
einem Tisch. Vor ihnen liegen die 196 Berichte und Kurzprotokolle. Sie
lesen jeweils einen Teil der Berichte. Die Namen der Opfer und die
Umstände der Tat werden geschildert, sachlich, deutlich und
unerbittlich. Eine Zumutung, der sich auszusetzen, gerade in Anbetracht
der aktuellen politischen Situation, absolut notwendig erscheint.
Die Lecture Performance dauert
ungefähr zwei Stunden. Durch die installative Form des Projektes wird
die schiere Anzahl der vorgetragenen teils sehr grausamen,
rechtsmotivierten Morde erst in ihrem ganzen Ausmaß spürbar. Die Taten
erhalten durch die Unbewegtheit der Puppen eine Dichte, die schwer
erträglich ist. Die Medienberichte rechtsmotiverter Gewalttaten sind uns
allen bekannt, erscheinen uns aber zwischen den anderen Nachrichten wie
Randnotizen. Durch die Präsentation aller Berichte gewinnen diese
“Randnotizen” eine Wucht, die nachdenklich, betroffen und wütend macht.
Der leere Raum und die flüsternden Stimmen bieten aber auch
Möglichkeiten der Kontemplation und Reflexion.
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Foto: Sebastian Schimmel
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